Besichtigung einer Horizontal-Windmühle auf Kreta

Bei meinem diesjährigen Aufenthalt auf Kreta realisierte ich ein Vorhaben, das ich schon länger im Hinterkopf hatte

Oberhalb des Bergdorfes Miamou in den Asterousia-Bergen Südkretas befindet sich auf einem Berggrat ein merkwürdiger, nicht besonders hoher, runder Bau aus Bruchsteinen. Ich hatte ihn schon oft gesehen, denn jeder passiert ihn, wenn er, von der Inselhauptstadt Iraklion an der Nordküste kommend, über die Messara-Ebene und die Asterousia-Berge zum Badeort Lentas am Libyschen Meer fährt. Zwei Jahre zuvor hatte ich dort schon einmal angehalten und befunden, dass es sich um eine der extrem seltenen Horizontal-Windmühlen handeln musste. Der niedrige Rundbau hat nur zwei Geschosse. Das Untergeschoss ist in den Fels hineingebaut. Das über den Fels herausragende Flachdach bildet eine Plattform. Auf ihr ist eine Art eisernes "Karussel" auf einer stehenden Welle angebracht. Dieses Windrad hat aber keine Besegelung wie die normalen vertikalen Mittelmeer-Windmühlen. Stattdessen sind an ihr neun halbierte eiserne Tonnen (Benzinfässer) als Windfänger befestigt. Eine Konstruktion, die ich so noch nirgendwo anders gesehen habe. Sie dreht sich gegen den Uhrzeigersinn. Die Konstruktion ist von einer stabilen runden Metallzaunkonstruktion umgeben, die nur an zwei gegenüber liegenden Stellen von einer ca. 2 m langen gebogenen Bruchsteinmauerwand unterbrochen ist. Am Zaungitter sind Holzläden befestigt. Durch die Zwischenräume kann der Wind von fast allen Seiten ein- und ausströmen. Das Untergeschoss besitzt keine Fenster. Da die Tür verschlossen war, konnte ich nicht sehen, ob sich im Inneren ein Mahlgang, oder gar eine andere Vorrichtung befindet.

Um das endlich einmal zu klären, musste ich vor Ort jemanden finden, der mir etwas über dieses merkwürdige Objekt erzählen konnte. Also begebe ich mich am Nachmittag des 31. Oktober 2017 von meinem Lieblingsort (Babis Taverne bei Lentas am Meer) mit dem Mietwagen zum Bergdorf Miamou. Hier erwartete mich in 400 m Höhe Regen und Wind bei herbstlich frischen Temperaturen.

Wenn man in einem griechischen Dorf etwas erfahren will und weiß nicht von wem, dann begibt man sich am besten in das Kafenion, die Dorfkneipe. In Miamou führt sie den ungewöhnlichen Namen "Lambrakis Snapsbar". Drinnen erwartet mich ein bullernder Holzofen und die Runde der Kartenspielenden Dorfältesten. Nachdem ich meinen Kafé elliniko metrio vor mir stehen habe, kann ich daran gehen, den Wirt Jannis zu befragen. Auf die Frage, ob er wisse, wem die Windmühle an der Straße über dem Ort gehöre, deutet er auf den an einem kleinen Tisch neben der Tür sitzenden älteren Herren. Das sei der Antonios und dessen Vater habe die Mühle gebaut. 15 Minuten später fahre ich mit Antonios, der leider nur sein kretisches Griechisch spricht zur Mühle. Dort öffnet er mir im eisigen Wind die Tür.

Im Untergeschoss ist die Mühle im Inneren nicht kreisrund, da der Fels in sie hineinragt und misst 5,41 x 3,84 m. Sie beherbergt einen Mahlgang. Er wird nicht direkt von oben angetrieben, da wäre auch der Trichter und das Rumpfzeug im Weg, sondern über ein Zahnradgetriebe von unten. Über ein Ritzel auf dem Mühleisen kann der Mahlgang ein- und ausgekuppelt werden. Die Mahlsteine sind von einer eisernen Bütte mit einem Durchmesser von 90 cm umgeben. Früher muss es größere Steine gegeben haben. Die alte hölzerne Bütte mit Innendurchmesser 110 cm ist noch vorhanden.

Weitere Maße nehme ich angesichts des frierenden alten Müllers in aller Eile. Die Mühle ist an zwei Seiten in den Fels gebaut. An der Tür beträgt die Wandstärke 2,40 m (!), Die Plattform hat einen Durchmesser von ca. 12 m, die kreissförmige Windleitvorrichtung um das Windrad tritt um 1,60 m zurück bei einem Durchmesser von 8,80 m.

Wir fahren schnell zum Kafenion zurück. Bei einem Raki, dem kretischen Tresterschnaps und heißen Ofenkartoffeln, erfahre ich noch, dass es am Ort seit ca. 200 Jahren eine Windmühle gegeben haben soll, immer in der Bauart als Horizontalmühle. Die existierende Mühle sei im Jahre 1920 gebaut worden. Der Wirt Jannis erinnert sich, dass sie gearbeitet habe bis er 15 Jahre alt war, das müsste dann 1972 gewesen sein. Dann habe sich der Betrieb nicht mehr gelohnt, weil alle das Mehl aus den Großmühlen im Handel preiswerter kaufen konnten. Die Mühle sei aber funktionstüchtig. Angeblich soll es im Bezirk Lassithi bei Agios Nikolaos früher noch so um die 5 Mühlen dieses Typs gegeben haben. Man konnte mir aber keinen genauen Ort angeben. So dass die Mühle von Miamou vielleicht die einzige überlebende iher Art ist. Interessant ist, dass schon eine der allerfrühesten Darstellungen eines solchen Typs aus dem 15. Jahrhundert eine von einer Mühle auf Kreta, in der Nähe der Inselhauptstadt Iraklion (Candia), ist. Die findet sich in einer Handschrift des Pilgerberichts des Ritters Konrad Grünemberg von 1487. Das finde ich schon recht bemerkenswert.

©Dr. Ralf Kreiner (RMDZ), 2017.