In kretischen Gefilden

Liebe Mühlenfreund*innen,

das Jahr 2020 war ja ein wahres annus horibilis. Umso erfreuter waren wir, dass wir im Oktober noch einmal in die Lüfte gehen konnten. Ziel: Kreta. Der Aufwand dafür war ungewohnt. Die Fallzahlen waren zu der Zeit in Griechenland verglichen mit Deutschland noch gering. Also brauchten wir schon einmal einen QR-Code, und da Belgien, von wo wir flogen schon Risikogebiet war, brauchten wir auch einen negativen Corona-Test. Wurde an den Flughäfen auch genauestens kontrolliert. Aber alles lief letztendlich glatt. Wäre auch zu schade gewesen, denn auch mühlenmäßig stand diesmal einiges auf dem Programm. Wir hatten uns für die ersten Tage in Milatos einquartiert, einem kleinen Dorf an der Nordküste, gelegen in jenem Teil der Insel, von wo man besonders viele Windmühlen erreichen kann. Ein Ausflug führte uns am dritten Tag auf die Lassithi-Hochebene. Diesmal nahmen wir die Auffahrt von Stalida hoch, die mit ihren engen Kehren und Ausblicken auf das ägäische Meer die beeindruckendste ist. 500 Meter höher kann man bei Mochos in östlicher Richtung auf einem Sattel zwischen zwei Gipfeln schon die ersten Windmühlenruinen erkennen. Diese waren aber nicht unser Ziel, sondern die größte Ansammlung von Windmühlen auf Kreta, nämlich die Reihe der Mühlen am Ambelos-Pass. Bevor man die erreicht, erwartet den Mühlenfreund aber noch das Grauen. In einer Kehre mit zugegebenermaßen toller Aussicht wurde mit dem "Homo-Sapiens-Village" eine Touristenfalle besonderer Art geschaffen. Dazu gehört ein ganzer Haufen weißgetünchter Pseudo-Windmühlen, die man leider nicht übersehen kann. Sie sind konisch wie Holländermühlen und eine hat sogar eine Galerie, was man bei griechischen Windmühlen noch nie gesehen hat. Leider finden Fotos dieser Unsäglichkeiten auch immer mehr Verbreitung in Broschüren, Reiseführern und im Internet. Also Augen zu und weiter! Nur einige Kurven weiter sieht man sie schon, die lange Kette der richtigen Windmühlen auf dem Grat des Ambelos-Passes. Von hier oben hat man einen unvergleichlichen Ausblick nach Norden auf das Hügelland und dahinter das Meer und zur anderen Seite auf die nahezu kreisrunde Lassithi-Hochebene knapp 100 m tiefer, die von den bis 2148 m hohen Dikti-Bergen begrenzt wird. Die mehrere tausend Windpumpräder sind wegen ihres filigranen Gestänges kaum zu sehen. Nur noch ganz wenige werden für die Touristen besegelt und überhaupt ist im Oktober für das Bewässern der Felder die falsche Jahreszeit. Dafür entschädigt der Anblick der traditionellen Getreidewindmühlen, die sich in einer Reihe links und rechts der Passstraße den Steilhang hinauf erstrecken. Bis auf eine sind alle vom Typ der sogenannten "Ein-Wetter-Mühle". Diesen Typ gibt es nur in dieser Gegend von Kreta und auf der Nachbarinsel Karpathos, nirgendwo sonst. Im Karstgestein versickert hier alles Wasser und tritt erst weit unten wieder aus, also keine Wassermühlen. Der Wind "Meltemi" weht hier in den Sommermonaten praktisch konstant aus Nordwest, also braucht die Flügelachse nicht in den Wind gedreht zu werden. Diese Mühlen haben deshalb keine dehbare Haube und statt eines runden einen hufeisenförmigen Grundriss und ein Flachdach. Die meisten der Mühlen sind Ruinen, einige nicht mehr als bloße Steinhaufen. Einige wurden restauriert, darunter auch diejenige, in der Müller Zacharias noch bis zum Beginn der 1990er Jahre gelebt hat. Während unsere Tochter und ihr Freund sich in der Taverne eine Pizza als Zweitfrühstück genehmigten, begaben wir uns mit Kamera, Tablet und GPS-Gerät in die Trümmer. Es sind tatsächlich 25 Windmühlen, bzw. was davon übrig ist. In manchen Publikationen ist davon die Rede, dass es ursprünglich 26 gewesen sein sollen. Wo aber ist Mühle 26 geblieben? Der Abstand zwischen den Mühlen aber auch ein altes Foto zeigen, dass diese dort lag, wo man die Passstraße durch den Felsen gesprengt hat. Als die Mühlen noch arbeiteten und vollzählig waren, existierte anstelle der Straße nur ein schmaler Saumpfad für Esel und Maultiere. An den Grundmauern kann man erkennen, dass eine der Mühlen einen runden Grundriss besaß, und damit wahrscheinlich auch eine drehbare Haube. So was findet sich bei anderen Windmühlenreihen der Region auch, wo sie auch noch besser erhalten sind als hier. So hatte man, wenn statt des frischen Meltemi aus NW mal der heiße Scirocco aus der Sahara wehte, noch eine Mühle in Reserve. Unten an der Küste waren übrigens alle Mühlen zylindrisch und hatten eine drehbare Haube, was wir in Milatos und am nächsten Tag auch bei Elounda gesehen haben. Aber jetzt ging es erst einmal weiter, denn wir wollten ja heute noch den Karfi (1141 m) besteigen, mit noch besserer Aussicht versteht sich. Sonst hat man sich das Abendessen hier nicht verdient! So weit für diesmal - bleibt gesund!

Ralf und Elfie, Februar 2021